Colette Sadler versammelt in „We Are The Monsters“ eine Familie von eigenartigen Wesen, die kindliche und erwachsene Sympathie wecken.
Ein Argument, in Zukunft nur noch Theater für die Zielgruppe unter zehn Jahren anzuschauen: unschlagbare Stimmung im Publikum. Wann sonst erleben wir im zeitgenössischen Tanz so ungebremste Anteilnahme am Bühnengeschehen – Lachanfälle, echte Verwirrung und Zustimmung?
Dabei sieht es so einfach aus. Sophiensaele, Hochzeitssaal, kurz nach 10 Uhr am Morgen: eine Ansammlung von Pappkartons als Horizont am hinteren Bühnenrand – eine bewegliche, fragile Kulisse, die immer kurz davor zu sein scheint, in sich zusammen zu krachen, aus der dann tatsächlich auch einzelne Teile nach vorn katapultiert werden oder sich selbst herausstülpen. Das ist die Welt, aus der eine Vielzahl monsterhafter Wesen hervortreten wird. Bevor sie auftauchen, verselbständigt sich schon gleich das Bühnenbild. „…plllllopppp.“ – da kommt ein fliegendes Stück Pappe herausgeschossen. Auf der Tribüne: schallendes Gelächter. Aus den Öffnungen zweier übergroßer Pappkartons wuchern merkwürdige Schläuche heraus und beschnüffeln sich gegenseitig, Luftballons schießen quietschend und in hohem Bogen über die Bühne. Das Stück hat kaum angefangen, da ist das Publikum schon ausgeflippt. Auch auf der Bühne gibt es kein Halten mehr – die Kartons sind nun wahrhaftig zum Leben erweckt, beginnen, sich wie von Zauberhand um die eigene Achse zu drehen, bis ihnen Arme und Beine zu allen Seiten heraus wachsen. Begeisterung!
Das ist das Anfangsbild von „We Are The Monsters“ – ein Kindertanztheaterstück der aus Glasgow stammenden Choreografin Colette Sadler im Rahmen von Tanzkomplizen, einer Initiative, die zeitgenössischen Tanz für junges und sehr junges Publikum produziert. Dabei ist natürlich klar, dass hier nichts leicht(fertiges) vonstattengeht, auch oder gerade weil es sich so munter anfühlt. Mit einfachen Mitteln appelliert „We Are The Monsters“ an unsere Phantasie und an die Begeisterungsfähigkeit für das Außer-Ordentliche und das Andere (in uns) – deswegen funktioniert es auch sehr gut für erwachsene Kinder…
Auftritt der Monster
Abwechselnd treten verschiedenste Wesen auf die Bühne: während einige eher schüchtern und selbstvergessen über die Bühne schlurfen, scheinen andere ihren Auftritt sichtlich zu genießen und um die Gunst der Zuschauerinnen zu buhlen. Die mutigen von ihnen suchen immer wieder die Nähe zum Publikum, streifen an den vorderen Reihen vorbei oder wagen sich sogar auf die Tribüne, wo sie jedes Mal für helle Aufregung sorgen. Da gibt es Monster, deren Gliedmaßen wie große Würste zu den Seiten runter hängen, solche ganz ohne Köpfe, nur aus zwei Beinen und Oberkörper bestehend, Wesen mit zwei Hintern und gebogenem Zwischenkörper in Trainingshosen, ein riesengroßes zotteliges Pelzmonster, ein aufgetürmtes rotes Monster aus mehreren Köpfen und Armen… Ohne didaktische Ebene kommt dieses Stück aus, das vor allem davon lebt, dass wir uns mit jenen Wesen identifizieren, Empathie für ihre Andersartigkeit empfinden und sie lieb gewinnen. Sie schaffen es, als Persönlichkeiten aufzutreten, die kein Gesicht und keine Stimme brauchen, um von uns verstanden zu werden. In dieser Monstergesellschaft darf jedes auf seine Weise verschroben, eigensinnig und monströs sein.
Am Ende des Stücks werden die einzelnen Charaktere noch einmal vorgestellt. Colette Sadler fragt, welches Monster den Kindern am besten gefallen habe: Publikumsmagnet eindeutig das rote Monster Jessica. „Weil es alles kaputt gemacht hat“ ruft es von der Tribüne des Hochzeitsaals herunter und trifft als einleuchtendes Argument auf allgemeine Zustimmung. Tatsächlich fallen einzelne Monster nicht nur durch ihr Äußeres aus dem Raster, sondern begeistern dadurch, dass sie sich insgesamt einfach merkwürdig verhalten, wie Jessica ungebremst über die Bühne fegen und sämtliche Kartons umstoßen, zum Beispiel. Ein Hoch auf das Chaos und die Andersartigkeit!